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Hast du dich gestern gefragt, wie es um deine Darmgesundheit steht? Auf der viszeralchirurgischen Station, auf der ich früher tätig war, gehörte die Frage nach dem Stuhlgang fast täglich zur Routine. Langzeitpatienten berichteten nüchtern: „Letzte Nacht war in Ordnung, Schmerzskala 4, keine Übelkeit und kein Stuhlgang.“ Die nächste, immer drängendere Frage war oft: „Wann darf ich nach Hause?“ Meine Antwort war simpel, aber nachdrücklich: „In der Regel: Wenn du Stuhlgang hast, kannst du nach Hause.“ Besonders bei Patient:innen nach Bauch- oder Darmoperationen zeigt sich, wie wichtig diese Körperfunktionen für unser Wohlbefinden sind.

Im Alltag gehen wir meist davon aus, dass alles reibungslos funktioniert – bis plötzlich der Gang zur Toilette zur Herausforderung wird. Dann denken wir darüber nach, was wir gegessen haben, wie viel Flüssigkeit wir zu uns genommen haben oder – im Falle von Durchfall – dass unser Verdauungssystem Aufmerksamkeit benötigt. Normalerweise arbeitet es unauffällig im Hintergrund, bis es versagt und uns vor Augen führt, wie essenziell diese Körperfunktionen sind.

Mit 44 Jahren habe ich noch etwas Zeit, bevor mein Hausarzt eine Vorsorgeuntersuchung empfiehlt. Doch das Risiko von Darmkrebs ist mir nicht fremd. In meiner Familie hat diese Krankheit bereits zugeschlagen – meine Grossmutter verlor ihr Leben daran. Die Erzählungen meiner Mutter über die schweren Zeiten haben mich gelehrt, die eigene Gesundheit ernst zu nehmen. Als Fachexperte auf einer Onkologieabteilung bekomme ich mit, wie viele meiner Patient:innen die Vorsorgeuntersuchungen verschoben haben, weil sie glaubten, es treffe sie nicht – bis es zu spät war. Diese Einstellung will ich für mich und meine Familie vermeiden. Es geht nicht nur um die eigene Gesundheit, sondern auch um die Verantwortung gegenüber den Menschen, die uns lieben und auf uns angewiesen sind.


Was wir tun können


Was ich als besonders wichtig erachte, ist regelmässige Bewegung. Tägliche körperliche Aktivität senkt das Risiko, an verschiedenen Krebsarten zu erkranken. Ich bin Nichtraucher und spreche auch im Freundeskreis über die Bedeutung des Verzichts auf Zigaretten und massvollen Alkoholkonsum – beides erhöht das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken. Ab dem 50. Lebensjahr ist es zudem wichtig, regelmässig Früherkennungsuntersuchungen in Anspruch zu nehmen, besonders bei familiärer Vorbelastung. Frühe Vorsorge kann Leben retten.

Regelmässiger Verzehr von Obst, Gemüse und Vollkornprodukten fördert eine gesunde Verdauung. Doch oft fehlt uns die Zeit für den Einkauf, die Zubereitung und das Geniessen des Essens. Und ja, wir sollten den Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch reduzieren, da ein hoher Fleischkonsum das Risiko von Darmkrebs erhöht. Doch bei vielen Restaurantbesuchen besteht das Menü zu 70 % aus Fleisch oder ungeniessbaren Fleischersatzprodukten (Story for another day).


Was die Politik tun muss


Obwohl die Schweiz über eines der besten Gesundheitssysteme weltweit verfügt, gibt es immer noch erhebliche Lücken in der Krebsvorsorge. Darmkrebs gehört zu den häufigsten Krebserkrankungen im Land, aber die Teilnahme an Vorsorgeprogrammen ist bislang zu gering.

Vor zwei Jahren forderte ich im Kanton Aargau ein kantonales Darmkrebsvorsorgeprogramm. Mittlerweile haben 16 Kantone entsprechende Programme umgesetzt.


Doch warum hinken noch 10 Kantone hinterher?


Der Regierungsrat Aargau hat auf meine Interpellation geantwortet und bestätigt, dass es kein flächendeckendes Programm gibt. Es fehlt an einer nationalen Strategie, seit die Nationale Krebsstrategie 2020 ausgelaufen ist. Zudem gibt es keine klare Koordination zwischen Hausärzt:innen und Spezialist:innen, und es fehlt ein kantonales Informationskonzept zur Darmkrebsvorsorge.


Politische Massnahmen, die dringend erforderlich sind:


  1. Einheitliche Vorsorgeprogramme in allen Kantonen: Anstatt regionaler Unterschiede sollte ein nationales Programm etabliert werden, das kostenlose oder vergünstigte Darmkrebsvorsorgeuntersuchungen ermöglicht.

  2. Umfassende Aufklärung: Viele Menschen wissen nicht, dass Darmkrebs im Frühstadium gut behandelbar ist. Eine breit angelegte Informationskampagne könnte hier Abhilfe schaffen.

  3. Automatische Screening-Erinnerungssysteme: Ähnlich wie bei der Mammographie könnten automatische Erinnerungen die Teilnahmequote deutlich erhöhen.

  4. Förderung gesunder Lebensstile: Investitionen in Ernährungs- und Bewegungsprogramme können langfristig das Darmkrebsrisiko senken.


Ein Appell an uns alle


Darmkrebs gehört zu den wenigen Krebsarten, die durch rechtzeitige Vorsorge fast vollständig vermeidbar sind. Dennoch nehmen viele Menschen diese Angebote aus Angst oder Unwissenheit nicht wahr. Vorsorge ist nicht peinlich, sondern kann Leben retten.


Frage dich also: Wann hattest du zuletzt Stuhlgang?


Und noch wichtiger: Wann hast du zuletzt aktiv etwas für deine Darmgesundheit getan?


Es könnte der entscheidende Schritt sein, der dein Leben verändert.

 





Nachdem Patienten oder andere Menschen erfahren, dass ich schon lange in der Schweiz lebe oder im Spital arbeite, führt etwa vier von zehn Gesprächen unweigerlich in eine Richtung, die mich an eine Begegnung mit einem Patienten erinnert.

Ich war gerade dabei, seine Vitalparameter zu messen, als er plötzlich sagte:

„Sie sind also scho so lang da – wow! Wo chömed Sie denn här?“

„Aus Gränichen“, antwortete ich.

Er runzelte die Stirn. „Nei, ich mein eifach, wo chömed Sie würkli här?“

„Ich bin ursprünglich aus Kenia.“

Seine Augen begannen zu leuchten. „Ah, Kenia! Ich bi vor es paar Jahr mal det gsi. Mir händ Kibera bsuecht, s’gröschti Slumgebiet, und e Familie mit chline Chind unterstützt. Es isch so truurig gsi, unter was für Bedingige die müesse läbe. Mir händ gschaut, dass sie Strom überchöi.“

Ich nickte höflich. „Das ist grossartig.“

Doch er gab sich nicht zufrieden. „Isch dini Familie denn au vo det?“

„Nein.“

Er schaute mich verdutzt an. „Wirkli? Sie müend mega froh si, dass Sie hüt da chönd läbe. In Kenia hets ja viu Armut.“

Ich seufzte innerlich. „Ich liebe die Alpen, aber ich vermisse Kenia auch.“

Sein Blick wurde überrascht. „Sie vermissed es?“

„Ja, sehr. Ich lebe in der Schweiz freiwillig. Alle zwei Jahre reise ich mit meinen Söhnen nach Kenia, um meine Familie und Freunde zu besuchen.“

„Mir sind leider nie meh zrugg gange. Aber wenn, de wend mir sicher die Familie wieder bsueche, wo mir gholfe händ.“

Dieses Gespräch, auf den ersten Blick harmlos, hinterliess bei mir ein ungutes Gefühl. Es war keine böse Absicht dahinter, aber es war ein Gespräch, das die wiederkehrende Frage nach der Zugehörigkeit in meinem Leben widerspiegelte.


Zwischen Interesse und White Saviourism


Es ist ein Muster, das sich immer wieder wiederholt: Die Fragen nach „woher ich wirklich komme“ und die Vergleiche, die oft gezogen werden, sind nicht nur neugierige Nachfragen. Sie offenbaren eine unausgesprochene Annahme – dass mein Leben in Kenia nur von Armut und Entbehrung geprägt war, dass das wahre „Glück“ erst mit meiner Ankunft in der Schweiz begann. Es wird vergessen, dass auch in Kenia so viel mehr existiert als nur das Bild von Armut, das häufig gezeigt wird. Dieses Denken ist ein Teil dessen, was man als „White Saviourism“ bezeichnet: der Glaube, dass Afrika nur durch westliche Hilfe überleben kann, und die Reduktion eines ganzen Kontinents auf ein einziges, klischeehaftes Bild.


Institutioneller Rassismus im Spital


Doch es sind nicht nur Patienten, die mich in eine Schublade stecken. In meinem beruflichen Umfeld gibt es immer wieder Situationen, in denen ich mit institutionellem Rassismus konfrontiert werde. Sobald jemand erfährt, dass ich im Spital arbeite, kommt oft fast reflexartig die Frage:

„Bist du in der Logistik oder als FAGE tätig?“

Nicht: „Bist du Pflegefachperson? Oder Fachexperte?“ – sondern eine sofortige Einordnung in Berufe, die typischerweise mit Migranten assoziiert werden. Es ist nicht böse gemeint, aber das ist genau das Problem. Es sind diese kleinen, wiederholten Annahmen, die mich – und viele andere – immer wieder daran erinnern, dass wir nicht als selbstverständlich in bestimmten Positionen wahrgenommen werden.

Einmal klagte ich über Kopfschmerzen, und ein Kollege fragte mich grinsend: „Kennst du nicht irgendeine afrikanische juju Medizin dagegen?“

Es war vielleicht als Scherz gemeint, aber es offenbart, wie tief verwurzelte Stereotype sind. Die unausgesprochene Annahme: Afrika sei traditionell, nicht modern. Afrikaner hätten Wissen, aber kein wissenschaftlich fundiertes Wissen. Solche Kommentare sind eine subtile Form von Mikroaggression, die oft übersehen oder als harmlos abgetan wird. Doch ihre Wirkung ist real.



Vielfalt als Chance – nicht als Herausforderung


In einer multikulturellen Gesellschaft, wie sie auch unsere Spitäler sind, könnten wir so viel voneinander lernen. Aber damit Vielfalt wirklich als Bereicherung wahrgenommen wird, müssen wir alle unsere eigenen Denkmuster hinterfragen. Zugehörigkeit entsteht nicht durch die Frage „Woher kommst du?“, sondern durch gegenseitigen Respekt und das Bewusstsein, dass wir alle gleichermassen zum Team gehören – unabhängig davon, wo wir geboren wurden.

Vielleicht sollten wir uns alle fragen: „Was treibt uns wirklich an? Wohin wollen wir?“ Denn die spannendsten Geschichten erzählen Menschen nicht, wenn man sie fragt, woher sie kommen, sondern wenn man ihnen zuhört, wohin sie wollen.


Wie können wir es besser machen?


Wir alle tragen unbewusste Vorurteile in uns – geprägt von einer Gesellschaft, in der Diskriminierung noch immer existiert.

Denk mal nach:

  • Wie fühlt es sich an, ständig den eigenen Platz in der Welt hinterfragen zu müssen?

  • Welche unbewussten Vorurteile trägst du mit dir? Bist du bereit, sie zu hinterfragen?

  • Was hindert dich daran, aktiv gegen Rassismus vorzugehen?

  • Wenn du eine Mikroaggression siehst – bleibst du still? Was bräuchte es, damit du den Mut hast, dich dagegen auszusprechen?






Ein gewöhnlicher Morgen auf meiner Station – wobei es im Spital keinen wirklich „gewöhnlichen“ Tag gibt, nur Routinen. Ich bereite Antibiotika für meine Patient:innen vor. Mein Blick wandert über die sauber sortierten und beschrifteten Medikamente – sorgfältig vorbereitet von der Nachtschicht. Jede Dosis, jedes Präparat muss überprüft werden. Während ich eine Ampulle aufziehe, höre ich Schritte auf dem Flur.

„Kannst du bitte hier unterschreiben?“

Ein vertrauter Satz. Ich drehe mich um und sehe Miro, den Lieferanten, in der Tür stehen. In seinen Händen hält er eine auffällig rote Box – die Chemotherapie-Lieferung. Heute ist er besonders müde – seine Frau hat vor ein paar Wochen Zwillinge bekommen.

„Na, hast du gut geschlafen?“ frage ich ihn.

„Nicht wirklich, aber es geht“, antwortet er mit einem müden Lächeln.

Ich unterschreibe auf seinem Smartphone, er scannt meinen Badge und nickt mir zu. „Schönen Tag noch.“

„Mach einen Powernap über Mittag“, rufe ich ihm nach, während er schon um die Ecke verschwindet.

Einen Moment bleibe ich stehen. Der Ablauf ist Routine – mehrmals am Tag bringen Lieferanten Medikamente, Infusionen oder Verbrauchsmaterial. Sie haben keinen direkten Kontakt zu den Patient:innen, aber ohne sie könnten wir unsere Arbeit nicht machen. Ich nehme die Box mit der Chemotherapie, überprüfe die Namen auf den Etiketten und stelle sie in den Medikamentenkühlschrank. Jede dieser Infusionen bedeutet für einen Menschen Hoffnung – eine Chance auf Heilung oder zumindest mehr Zeit.


Putzfee mit Ninja-Moves


Als ich die leeren Boxen zum Abholplatz schiebe, erscheint eine weitere vertraute Gestalt: Sarah, eine unserer Reinigungskräfte. Sie lehnt im Türrahmen und fragt:

„Kann ich das Medikamentenzimmer jetzt sauber machen?“

Ich nicke. „Ja, ich bin fertig.“

Sarah lächelt dankbar und beginnt mit ihrer Arbeit. Ihre Bewegungen sind präzise, jeder Handgriff sitzt. Sie ist die akkurateste Person, die ich kenne – seit meinem ersten Tag hier vor zwei Jahren weiss ich, welche Standards erwartet werden. Wenn es nach mir ginge, wäre sie längst Mitarbeiterin des Jahres. Leider wird ihre Arbeit oft nicht genug gewürdigt.

Während sie summend den Boden wischt, werfe ich einen letzten Blick auf den Kühlschrank. Alles ist sicher verstaut. Ich verlasse den Raum.


Wo Essen zum Event wird


Ich gehe den Flur entlang und treffe die Mitarbeitenden der Hotellerie. Sie sorgen dafür, dass die Patient:innen ihr Essen zur richtigen Zeit und in der richtigen Form erhalten. Es ist eine logistische Herausforderung, denn die Bedürfnisse sind unterschiedlich – einige brauchen pürierte Kost, andere eine spezielle Diät. Ich sehe, wie einer der Mitarbeitenden ein Essenstablett mit einem freundlichen Lächeln an ein Zimmer bringt. Eine kleine Geste, die für Patient:innen, die oft einen schweren Tag haben, einen grossen Unterschied macht.



Ein verrücktes Ensemble von Held:innen


Auf unserer Station mit 21 Betten arbeiten 22 Pflegende – von Auszubildenden bis hin zu Pflegeexpert:innen. Hinzu kommen bis zu vier Stationsärzte, zwei bis drei Physiotherapeut:innen, eine Hotellerie-Mitarbeiterin und zwei Reinigungskräfte, die wir täglich zählen können. Doch das ist nur unser Kernteam. Darüber hinaus gibt es die Menschen, die nicht fest zur Station gehören, aber täglich oder regelmässig auftauchen: die Lieferanten, die Techniker, das Apothekenpersonal und viele mehr, die nicht direkt in die Patientenversorgung involviert sind. Sie alle tragen dazu bei, dass unser Spital funktioniert und wir uns voll und ganz auf die Versorgung unserer Patient:innen konzentrieren können.

Ohne die Reinigungskräfte würde sich Keime ungehindert verbreiten, und die Patient:innen könnten sich mit gefährlichen Infektionen anstecken. Ohne die Hotellerie würden viele Kranke keine bedarfsgerechte Ernährung bekommen – eine entscheidende Unterstützung für die Genesung. Ohne die Techniker blieben Monitore dunkel und Betten defekt.

Es sind nicht nur Ärzt:innen und Pflegekräfte, die das Spital am Laufen halten. Viel zu oft wird die Arbeit derer, die nicht direkt an der Patientenversorgung beteiligt sind, übersehen. Dabei sind sie es, die eine essenzielle Rolle spielen. Sie sind die unsichtbaren Helden unseres Alltags – und ohne sie wäre unsere Arbeit nicht möglich.

Und damit all diese Menschen harmonisch zusammenarbeiten können, gibt es eine Person, die selten im Vordergrund steht, aber essenziell für den reibungslosen Ablauf ist: unsere Abteilungssekretärin bzw. -koordinatorin. Sie ist diejenige, bei der ich meine Probleme und Wünsche abladen kann – und ich weiss, dass ich mich danach nicht mehr darum kümmern muss. Sie ist das (un)sichtbare, aber unglaublich wichtige Bindeglied im gesamten System.


Die unsichtbaren Superheld:innen: Sie retten Leben, ohne Umhang


Ich denke an Miro, der trotz Schlafmangels seine Runden dreht, an Sarah, die mit grösster Sorgfalt für Hygiene sorgt, und an die Mitarbeitenden der Hotellerie, die mit Freundlichkeit und Engagement dazu beitragen, den Patient:innen den Tag etwas angenehmer zu machen.

Ein Spital ist mehr als nur ein Gebäude mit medizinischer Ausstattung. Es ist ein komplexes System, in dem jede:r Einzelne eine Rolle spielt. Wenn wir über Wertschätzung im Gesundheitswesen sprechen, dann sollten wir nicht nur an Ärzt:innen und Pflegekräfte denken. Es sind alle, die ihren Teil dazu beitragen, dass ein Spital funktionieren kann.

Vielleicht sollten wir das nächste Mal, wenn wir einem dieser unsichtbaren Helden begegnen, innehalten und „Danke“ sagen. Denn ohne sie gäbe es keine funktionierende Patientenversorgung – und keine Hoffnung auf Heilung.

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