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Ich erinnere mich noch genau an meine ersten Tage als angehender Pflegefachmann. Ich stand im Klinikflur, mein Stethoskop um den Hals, den Notizblock in der Kitteltasche. Mein Herz klopfte schneller, als ich das erste Mal versuchte, mit der Quecksilbersäule den Blutdruck einer Patientin zu messen. Die Manschette wurde festgezurrt, das Ventil langsam geöffnet, der Puls durch das Stethoskop hörbar. Ich war mir nie ganz sicher, ob ich den systolischen Wert korrekt ablas oder ob das Rauschen nur Einbildung war. Auch das Fiebermessen war eine Geduldsprobe: Minutenlang musste das Thermometer unter die Zunge oder in die Achsel gelegt und anschliessend endlos geschüttelt werden, bis die Anzeige wieder auf null sprang. Damals schien das völlig normal. Heute genügt ein kurzer Scan an der Stirn, um die Temperatur zu messen. So viele Abläufe in der Pflege haben sich bereits gewandelt und doch stecken wir in einigen Bereichen noch am Anfang der Digitalisierung.

 



Die Dokumentation nimmt immer noch viel Zeit in Anspruch. Berichte werden  handschriftlich verfasst, was mühsam und zeitraubend ist. Gleichzeitig gibt es längst KI-gestützte Lösungen, die durch Spracherkennung automatische Pflegeberichte erstellen können. Diese Systeme könnten Diagnosen, Vitalwerte und sogar Hinweise zur Stimmungslage einer/eines Patient:in in Echtzeit in strukturierte Daten umwandeln. Auch bei der Verordnung von Medikamenten würde künstliche Intelligenz in Sekunden erkennen, ob ein neues Präparat zu Wechselwirkungen mit einer bestehenden Therapie führen könnte.

 




Grosses Potenzial bietet KI ausserdem in der Prävention. Sensoren auf der Station könnten etwa Bewegungsmuster erfassen und dadurch frühzeitig eine Sturzgefahr melden, bevor etwas passiert. Vor allem in der Geriatrie liesse sich so die Sturzrate senken. Ebenso könnten Vitalwerte und andere Gesundheitsdaten in Echtzeit überwacht werden, um bei kritischen Abweichungen schnell reagieren zu können. Gerade in lebensbedrohlichen Situationen kann das wertvolle Zeit verschaffen. Auch in der Rehabilitation eröffnen KI-gestützte Roboter und virtuelle Realität neue Möglichkeiten: Patient:innen trainieren gezielt ihre Motorik und erhalten sofortiges Feedback, was ihre Genesung beschleunigt.

 

Der Nutzen von KI zeigt sich auch in der Entwicklung neuer Therapien. Die Technologie kann riesige Datenmengen durchforsten und Zusammenhänge erkennen, die selbst Expert:innen entgehen würden. So können Wirkstoffkombinationen gefunden und Nebenwirkungen schneller identifiziert werden, was eine präzisere, personalisierte Behandlung ermöglicht.

 



Trotzdem wird KI niemals die menschliche Interaktion ersetzen. Empathie, ein tröstendes Wort oder eine beruhigende Hand auf der Schulter – all das bleibt Aufgabe von Pflegekräften. Künstliche Intelligenz kann jedoch ein wichtiges Werkzeug sein, um repetitive Aufgaben zu übernehmen und so mehr Zeit für die direkte Patient:innen betreuung zu schaffen.

 

Gerade in der Schweiz sind viele Spitäler bei der Einführung von KI jedoch zurückhaltend. Ein Grund dafür sind oft die damit verbundenen Kosten. Die Anfangsinvestitionen für KI-Systeme können hoch sein und besonders in einem Land mit verschiedenen Finanzierungswegen wägt man solche Anschaffungen genau ab. Hinzu kommen historisch gewachsene IT-Strukturen, die in jedem Kanton und sogar innerhalb einzelner Spitäler unterschiedlich aussehen. Eine durchgängige Integration von neuen KI-Lösungen erfordert daher hohe Koordinations- und Anpassungsleistungen. Auch die Geschäftsleitungen, die privat durchaus modernste Smartphones nutzen, sind mitunter skeptisch. Sie fürchten Kontrollverlust und sind unsicher, wie KI-Systeme sicher in die Klinikabläufe eingebunden werden können.

 

Weitere Hürden ergeben sich aus dem Datenschutz und der föderalen Organisation. Kantonale Vorgaben zur Datennutzung sind unterschiedlich, weshalb es keine einheitlichen Richtlinien gibt. Viele Spitäler warten zudem auf konkrete Pilotprojekte, die den Erfolg von KI in der Praxis belegen. Diese Zurückhaltung bremst eine schnelle Verbreitung und führt dazu, dass oft jene Lösungen fehlen, welche die Vorteile im Alltag sichtbar machen könnten.




 

Trotz aller Herausforderungen bleibt die Frage, wie neue Technologien die Pflege wirklich verbessern können. Denken wir an den Beginn der Computertomographie in den 1970er Jahren oder an die Einführung elektronischer Patient:innenakten in den 1990ern: Was anfangs als überteuert oder unnötig galt, ist heute selbstverständlich. Auch bei der Telemedizin war die Skepsis gross, bis sie während der COVID-19-Pandemie zum Retter in der Not wurde. Es zeigt sich, dass es Zeit braucht, bis Innovationen akzeptiert sind – doch sobald sie einmal integriert sind, will niemand mehr auf sie verzichten.

 

Künstliche Intelligenz kann fehleranfällige, zeitraubende Prozesse optimieren und den Arbeitsalltag für Pflegekräfte deutlich entlasten. Zugleich müssen wir achtsam sein, damit Datenschutz, Ethik und das Wohl der Patient:innen nicht zu kurz kommen. KI ist kein Feind, sondern ein Werkzeug, das klug eingesetzt werden will. Der Fortschritt in der Medizin hat uns stets begleitet. Jetzt ist es an der Pflege, sich die neuesten Entwicklungen zunutze zu machen. Wenn wir die Risiken im Blick behalten und die Chancen mutig ergreifen, kann KI dazu beitragen, die Qualität der Patient:innen versorgung zu steigern und mehr Freiraum für  menschliche Nähe zu schaffen, die in der Pflege unverzichtbar bleibt.


Was ist deine Sicht? Könnte KI dein Pflegeumfeld bereichern und welche konkreten Vorteile würdest du dir für deinen Alltag wünschen?

 

Ein ganz gewöhnlicher Tag auf Station – so hätte es zumindest scheinen können. Doch schon als ich mein Abendessen im Kühlschrank verstaute und in den Aufenthaltsraum trat, ahnte ich, dass dieser Tag alles andere als normal werden würde. Im Flur begegnete mir eine Kollegin mit müdem Lächeln. „Halt dich fest“, sagte sie leise. „Heute sind einige Angehörige besonders besorgt …“ Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Auch das gehört eben zu unserem Alltag.




Verschiedene Gesichter der Sorge


Im Laufe meiner Tätigkeit habe ich die unterschiedlichsten Verhaltensweisen von Angehörigen kennengelernt. Es gibt:

·         Der „Ruhepol“ – strahlt in jeder noch so angespannten Situation Gelassenheit aus und vermittelt Patient:innen wie Pflegepersonal ein Gefühl von Sicherheit.

·         Die „Klette“ – ständig kontrollierend, mit einem unerschöpflichen Vorrat an Fragen.

·         Die „Organisatorin“ – behält selbst in turbulenten Momenten den Überblick über Termine, Formulare und Abläufe, sodass sich alle auf das Wesentliche konzentrieren können.

·         Der „Skeptiker“ – zutiefst misstrauisch, hinterfragt jedes Detail und jede Diagnose.

·         Der „Aufmunterer“ – versprüht Optimismus, bringt kleine Überraschungen mit und hebt durch humorvolle Bemerkungen die Stimmung auf der Station merklich.

·         Die „Leidenden“ – so erschöpft und mitgenommen, als wären sie selbst Patient:innen.

·         Die „Brückenbauerin“ – verfügt über kulturelles Wissen, spricht mehrere Sprachen oder kennt Rituale, um so Sprach- und Kulturbarrieren gekonnt zu überwinden.

·         Die „Besserwisserin“ – liefert unaufgefordert Lösungen, will jede Entscheidung mitbestimmen.

·         Der „Ausbalancierer“ – erkennt frühzeitig Spannungen innerhalb der Familie oder im Team und setzt sein diplomatisches Geschick ein, um eine harmonische Atmosphäre zu schaffen.

·         Der „Unsichtbare“ – zieht sich zurück und hinterlässt oft wichtige Informationslücken.



Egal, wie sie sich zeigen, all diese Verhaltensweisen sind getrieben von derselben Grundemotion: tiefe Sorge und der Wunsch, das Beste für ihre Liebsten zu erreichen.

Wenn Angehörige ein Spital betreten, tragen sie oft einen emotionalen Cocktail aus Verzweiflung, Angst, Erleichterung und Ungeduld mit sich herum. Sie wollen Antworten und einen Fahrplan für das, was als Nächstes kommt. Doch sie prallen auf eine Welt aus weissen Wänden, piepsenden Geräten und Menschen in Eile – nicht selten fühlen sie sich dabei wie Fremde im eigenen Film.


Eine Begegnung, die mir besonders im Gedächtnis blieb


Als ich noch Student war, hatte ich einmal mit einer Mutter zu tun, deren kleiner Sohn an einer schweren Lungenentzündung litt. Sie wirkte auf mich wie eine aufgewühlte Seele: zitternde Hände, Tränen in den Augen und das Haar zerzaust vom vielen Durch-die-Haare-Fahren. Ihre erste, stockende Frage: „Wer kann mir sagen, ob alles gut wird?“ Ich spürte ihre Panik fast körperlich – die Angst, etwas Schlimmes könnte passieren, sobald sie auch nur einen Augenblick wegschaut. In diesem Moment war ich ihr einziger Anker. Natürlich haben wir ihm schnell eine Infusion gelegt und Antibiotika verabreicht, und nach einigen Tagen durfte sie ihren Sohn gesund und munter wieder nach Hause begleiten. Doch der Eindruck, den ihr verzweifelter Blick bei mir hinterlassen hat, bleibt unvergessen.

Der Leitfaden, der mich trägt

Über die Jahre habe ich gelernt, dass ich den Angehörigen nicht nur fachliche Sicherheit vermitteln, sondern auch emotional stützen muss. Ein offenes Lächeln, aufmerksames Zuhören und ruhiges, klares Erklären – schon senken sich Schultern, atmen Menschen tiefer durch und spüren: Hier darf ich vertrauen.


Zwischen Verbündeten und Überforderung


Angehörige können wahre Held:innen sein. Sie kennen den Menschen, den wir pflegen, in- und auswendig: Sie wissen, welche Mahlzeiten er verabscheut, welche Musik ihn beruhigt und welcher Witz ihn zum Lachen bringt. Kulturelle Hintergründe können uns zudem Türen öffnen, von denen wir ohne ihr Wissen gar nicht wüssten, dass es sie gibt.

Ich erinnere mich an einen Patienten, der sehr schüchtern war und kaum Deutsch sprach. Seine Tochter kam fast täglich, übersetzte und half ihm, Vertrauen zu fassen. Dank ihr verstanden wir rasch seine Sorgen und konnten die Behandlung gezielt anpassen. Es war ein Gefühl, als hätte jemand einen Schlüssel zu seinem Herzen gefunden und uns damit allen den Weg geebnet.

Doch es gibt auch die andere Seite: Die besorgte Ehefrau, die jeden Tag stundenlang vor dem Zimmer verharrt, auch wenn sie nicht hinein darf. Sie bringt unaufhörlich selbst gekochtes Essen mit, fragt jeden im Team unzählige Male dasselbe und will jeden Schritt nachvollziehen. An manchen Tagen habe ich das Gefühl, wir wenden mehr Zeit für ihre Fragen auf als für den Patienten selbst. Aber ist das wirklich „übertrieben“? Oder vielleicht doch bloss ein Ausdruck ihrer lähmenden Angst, die sie mittels Kontrolle in Schach zu halten versucht?


Wenn die Angst das Ruder übernimmt


Ein anderer Fall war ein älterer Herr, dem wir uns kaum nähern konnten, ohne dass er uns mit dem Internet und zig Studien konfrontierte. Er verglich Kliniken und drohte mit Beschwerden bei jeder Verzögerung. Seine laute, fordernde Stimme war anstrengend, doch im ruhigen Gespräch wurde schnell klar, dass er sich schlicht hilflos fühlte: Er sah, wie seine Frau Tag für Tag schwächer wurde und spürte seine eigene Ohnmacht. Also suchte er verzweifelt nach einem Weg, doch noch Kontrolle zu behalten.

In solchen Momenten atme ich tief durch, setze mich zu ihm und begegne ihm auf Augenhöhe. „Ich verstehe, dass Ihnen das Angst macht. Lassen Sie uns gemeinsam ansehen, wie der Behandlungsplan aussieht.“ Häufig ist genau das der Schlüsselmoment, in dem sich die Spannungen lösen.


Grenzen: Balanceakt zwischen Professionalität und Mitgefühl


Nicht jede Begegnung verläuft so reibungslos. Es gibt Tage, da schleppe ich mich nach Feierabend unter die Dusche und frage mich: „War ich für Frau Meier präsent genug? Habe ich Herrn Schmidt ernst genommen, als er so verzweifelt wirkte? “Manche Angehörige fordern uns sehr heraus, stellen unser Urteil infrage oder versuchen, uns rund um die Uhr in Beschlag zu nehmen. Eine Kollegin erzählte mir einmal von einer Mutter, die heimlich Globuli ins Zimmer schmuggelte, weil sie überzeugt war, es besser zu wissen. Dann müssen wir Grenzen ziehen, damit der Patient geschützt bleibt. Aber wie zieht man solche Grenzen, ohne das Gegenüber vor den Kopf zu stossen? Hier hilft mir stets der Rückhalt im Team. Wir sprechen offen über schwierige Situationen, teilen Erfahrungen und überlegen gemeinsam, wie wir das nächste Mal reagieren können. Es macht vieles leichter, wenn man weiss, dass man nicht allein diese Last trägt – und erinnert daran, dass hinter all dem unangenehmen Verhalten meist nur die pure Furcht steckt.


Wenn Angehörige selbst zu Patient:innen werden


Ganz besonders nahe geht es mir, wenn Angehörige permanent am Bett wachen. Einmal hatte ich eine Familie, die Tag und Nacht bei der schwer kranken Tochter blieb. Sie wechselten sich zwar ab, aber ihre Erschöpfung war greifbar: kein Schlaf, kaum Essen, die Gedanken nonstop beim Kind. Einige zeigten sogar erste Anzeichen eines Burnouts. In solchen Fällen versuchen wir, auch die Angehörigen zu „pflegen“ – sei es durch beruhigende Gespräche, das Angebot psychologischer Unterstützung oder das behutsame Drängen, sich doch mal eine Pause zu gönnen. Viele lehnen das anfangs ab, weil sie glauben, damit ihre Liebsten im Stich zu lassen. Doch wenn sie merken, dass ein wenig Schlaf sie nicht zu schlechteren Eltern macht, entspannt sich die Lage meistens für alle.


Kommunikation, die Herzen öffnet


Aus all diesen Erfahrungen habe ich gelernt, dass eine offene und einfühlsame Kommunikation der Schlüssel ist. Manchmal reicht ein kurzer Zwischenstand, ein warmes Lächeln oder die Frage: „Wie fühlen Sie sich gerade?“ – und schon entsteht ein Raum der Verbundenheit, in dem man sich wirklich begegnen kann. Mir ist es wichtig, Angehörige aktiv ins Team einzubinden. „Haben Sie heute etwas Besonderes an Herrn Müller bemerkt? Wie wirkt er auf Sie?“ Solche Fragen signalisieren: Ihr Wissen ist wertvoll, denn niemand kennt den Patienten so gut wie die Familie.


Die digitale Erweiterung: modern und menschlich und KI-Landschaft in Schweizer Spitälern



In den letzten Jahren kommt ein neues Kapitel hinzu: Social Media und KI-gestützte Kommunikation. Manche Patient:innen oder Angehörige versuchen, mich nach dem Klinikaufenthalt auf Facebook oder anderen Plattformen zu kontaktieren. Dann stehe ich oft vor einem Dilemma: Einerseits erkenne ich das Bedürfnis nach Nähe, andererseits möchte ich meine private Sphäre bewahren. Also lehne ich solche Kontakte meist freundlich ab und erkläre die Gründe. So kann ich professionell bleiben, ohne sie zu verletzen.

Obwohl die Schweiz in vielen Bereichen als innovatives Land gilt, steckt der Gesundheitssektor digital gesehen oft noch in den „Steinzeit“-Jahren. Man spürt das zum Beispiel an den Chatbots mancher Spitäler: „Mina“ und „Anna“ bieten zwar einfache Infos zu Themen wie Besuchszeiten und Anfahrt, aber wirklich revolutionär sind sie (noch) nicht. Immerhin geht „ks_bot“ schon einen Schritt weiter, indem er KI-gestützte, etwas individuellere Antworten liefert.

Trotzdem fehlen solche digitalen Assistenten leider noch in vielen grossen Institutionen, selbst an einigen der grössten Universitätskliniken sucht man vergeblich nach Chatbots. Dabei könnte gerade dieser Service das Pflegepersonal entlasten und Angehörige bei Routine fragen schnell informieren. So bleibt mehr Zeit für das wirklich Wichtige: das persönliche Gespräch, Trost und Zuhören – Dinge, die eine Maschine zwar nicht ersetzen kann, aber zumindest unterstützen sollte.



Kraft tanken: Selbstschutz für Pflegende


Bei all der Fürsorge dürfen wir uns selbst nicht vergessen. Angesichts intensiver Angehörigenkontakte ist Selbstfürsorge unverzichtbar:

·         Pausen bewusst einlegen

Eine Kollegin erzählt, dass sie jeden Tag fünf Minuten vor die Tür geht und tief durchatmet. Diese kleine Routine hilft ihr sehr.

·         Kollegialer Austausch

Teilen Sie frustrierende Erlebnisse. „Wir hatten heute wieder so eine verzweifelte Angehörige, ich muss das kurz loswerden…“ – Solche Gespräche im Team sind Gold wert.

·         Supervision

Bei sehr belastenden Situationen kann eine externe Betrachtung und Reflexion helfen, Grenzen zu wahren.

·         Fortbildungen

Ob Deeskalation oder Gesprächsführung – wer trainiert ist, geht souveräner mit schwierigen Angehörigen um.

·         Achtsamkeit

Kurze Meditationen oder Entspannungsübungen erleichtern das innere Abschalten und beugen Stress-Symptomen vor.


Ich habe mir angewöhnt, nach der Schicht kurz auf das Dach des Gebäudes zu gehen und ein paar tiefe Atemzüge zu nehmen. Dann lasse ich den Tag an mir vorbeiziehen und denke: „Ich bin dankbar, heute für jemanden da gewesen zu sein.“




Gemeinsam stark: ein Fazit


Wenn ich an all die Angehörigen denke, die mir begegnet sind, sehe ich ein kunterbuntes Mosaik: Tränen und Lächeln, Wut und Erleichterung, Furcht und Hoffnung. All diese Emotionen haben einen Ursprung: Liebe für den Menschen im Krankenbett. Unsere Aufgabe ist es, diese Liebe zu begleiten, zu kanalisieren und im Heilungsprozess zu nutzen. Gelingt uns das, wird aus dem Krankenhaus nicht nur ein Ort der Angst, sondern auch einer der Geborgenheit.

Klar, dafür braucht es manchmal ein dickes Fell und unerschütterliche Geduld. Doch wenn ich mir vorstelle, wie ich selbst reagieren würde, läge jemand, den ich liebe, im Spital, dann bin ich dankbar für jedes offene Ohr und jede helfende Hand. Deshalb komme ich jeden Tag auf die Station zurück – voller Neugier auf die Menschen, die mir begegnen werden. Denn wir alle, Patientinnen und Angehörige, sind in diesem Prozess miteinander verbunden. Und wenn wir die Angehörigen als Partnerinnen begreifen, schaffen wir ein Netzwerk aus Nähe, Verständnis und Unterstützung, das am Ende vor allem eines garantiert: den grösstmöglichen Nutzen für unsere Patient:innen.



Die Pflege. Ein Beruf, der oft romantisiert und gleichzeitig unterschätzt wird. „Engel in Weiss“, „Helfende Hände“ – diese Schlagworte kennen wir alle. Doch hinter den Kulissen wartet die wahre Herausforderung: Schichtdienst, hohe Verantwortung, emotionale Belastung. Und mittendrin:

Das Team.



Ich bin überzeugt: Mit wem du arbeitest, ist wichtiger als wo. Ob ich nach einem langen Tag erschöpft, aber zufrieden nach Hause gehe, oder mich ausgelaugt fühle, hängt vor allem von den Menschen an meiner Seite ab. Ein gutes Team kann in der Pflege alles verändern – und ich spreche aus Erfahrung.


Mein erster Tag – und warum ich blieb


Erinnert ihr euch noch an euren ersten Tag in einem neuen Job? Die Nervosität, die neuen Gesichter, die ungewohnte Umgebung. Mir ging es als Praktikant in einer Pflegeabteilung nicht anders. Ich hatte keine grossen Erwartungen, eher Respekt vor dem Unbekannten. Die Station war modern, gut ausgestattet, alles wirkte effizient. Doch was mich wirklich packte, war die Atmosphäre. Meine neuen Kolleg:innen boten mir sofort ihre Hilfe an, ohne dass ich fragen musste. Echter Zusammenhalt – ich hatte ihn zum ersten Mal erlebt.

Klar, das Praktikum war befristet. Umso glücklicher war ich, als mir die Stationsleitung anbot, als diplomierter Pflegefachmann zu bleiben, nachdem meine Papiere anerkannt worden waren und ich blieb. Nicht wegen der Aufgaben oder der tollen Ausstattung, sondern wegen des Teams. Es war ein Ort, an dem jede:r willkommen war, unterstützt wurde, sein Potenzial entfalten konnte. Wir lachten zusammen, lernten aus Fehlern, feierten Erfolge, halfen uns in stressigen Momenten. Diese Beziehungen bestehen bis heute.


Warum der Mensch in der Pflege zählt


Kein Tag in der Pflege gleicht dem anderen. Mal läuft alles reibungslos, mal gerät alles aus den Fugen: Notfälle, schwierige Angehörige, emotionale Belastungen. Gerade dann zeigt sich, wie wertvoll ein starkes Team ist.

Ich erinnere mich an eine Kollegin, die mit einem besonders anspruchsvollen Patienten zu kämpfen hatte. Anstatt sie allein zu lassen, sprangen wir alle ein. Wir übernahmen Aufgaben, führten Gespräche, dokumentierten. Am Ende haben wir die Situation gemeistert – aber vor allem hatten wir das Gefühl, es gemeinsam geschafft zu haben.

Ein gutes Team fragt nicht nur: „Brauchst du noch Hilfe?“, sondern packt mit an, bis alle fertig sind. Und geht danach vielleicht noch gemeinsam auf einen Drink Joggen oder Sport treiben. Es ist dieses Miteinander, das in der Pflege den entscheidenden Unterschied macht.

 



Die Zutaten für ein Dream-Team


Was macht ein gutes Team aus? Hier sind meine persönlichen "Must-haves":


  • Freude statt Konkurrenz: Wir freuen uns über die Erfolge der anderen, lassen uns inspirieren, motivieren uns gegenseitig. Neid und Missgunst haben hier keinen Platz.

  • Fehler als Lernchance: Niemand ist perfekt. Fehler passieren. Wichtig ist, dass wir offen damit umgehen, daraus lernen und gemeinsam besser werden.

  • Gemeinsam Erfolge feiern: Ob positives Feedback von Patient:innen, ein reibungsloser Ablauf oder eine gelungene Übergabe – solche Momente stärken den Teamgeist und machen den Alltag bunter.

  • Hilfe anbieten und annehmen: In einem guten Team erkennen wir, wenn jemand Unterstützung braucht, und bieten sie aktiv an. Genauso wichtig: Wir nehmen Hilfe auch an, wenn sie uns angeboten wird. Nur so entsteht echter Zusammenhalt.


So bauen wir ein starkes Team auf


Wie schaffen wir es nun, eine solche positive Teamkultur zu etablieren? Hier ein paar konkrete Tipps aus meiner Erfahrung:


  • Regelmässige Teambesprechungen: Offen und ehrlich miteinander sprechen, Feedback geben, Probleme ansprechen – so beugen wir Missverständnissen vor und lösen Konflikte frühzeitig.

  • Gemeinsame Aktivitäten: Ob gemeinsames Frühstück, ein Feierabend-Drink oder ein Ausflug – solche Erlebnisse schweissen zusammen und schaffen Erinnerungen.

  • Feedback-Runden: Gerade nach stressigen Tagen ist es wichtig, Erfahrungen auszutauschen, sich gegenseitig zuzuhören und gemeinsam Lösungen zu finden.

  • Diversität wertschätzen: Jedes Teammitglied bringt seine eigenen Perspektiven und Erfahrungen mit. Diese Vielfalt bereichert unseren Arbeitsalltag und führt zu kreativen Lösungen.

  • Selbstfürsorge im Team: Achtsamkeit gehört auch in den Arbeitsalltag. Wir erinnern uns gegenseitig an Pausen, ans Trinken, hören einander zu. Und ja, manchmal weise ich einen Kollegen auch freundlich auf eine krumme Sitzhaltung oder ein Salatblatt zwischen den Zähnen hin – nicht aus Kontrolle, sondern aus Fürsorge.

 

Wie jede:r Verantwortung übernehmen kann


Neben einer positiven Teamkultur ist es auch die Verantwortung jeder einzelnen Person im Team, sich selbst zu fragen: Wie trage ich dazu bei, dass dieses Team ein unvergesslicher Arbeitsplatz ist? Bin ich die beste Teamplayer:in, die ich sein kann? Diese Reflexion hilft dabei, aktiv an einem harmonischen und unterstützenden Miteinander zu arbeiten und das Beste aus sich selbst und anderen herauszuholen.

 

Der Einfluss von Führungskräften


Führungskräfte haben eine entscheidende Rolle. Sie prägen die Teamkultur massgeblich. Ich hatte das Glück, Vorgesetzte zu haben, die präsent waren, zugehört haben und uns nie allein liessen. Ehrlichkeit und Offenheit – das sind die wichtigsten Eigenschaften einer guten Führungskraft.

Eine meiner früheren Stationsleitungen sagte einmal: „Ich bin nicht perfekt, aber ich bin da, damit wir gemeinsam besser werden.“ Dieser Satz ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Es sind diese authentischen Vorbilder, die den Unterschied machen und das Team zu Höchstleistungen motivieren.



Mein Fazit: Investiert in euer Team


Die Menschen, mit denen wir arbeiten, bestimmen unsere berufliche Zufriedenheit. Ein respektvolles, freudiges und lernbereites Team macht den Unterschied – für uns und für unsere Patient:innen. Investiert in euer Team, pflegt Wertschätzung, feiert Erfolge, lernt aus Fehlern und seid füreinander da.

Denn in der Pflege sind es am Ende immer die Menschen, die wirklich zählen – und ich verbringe 50 Stunden pro Woche mit diesen Menschen. Ich möchte in guter Gesellschaft sein.



Und jetzt bin ich neugierig:


Was braucht ihr, um euch in einem Team wohlzufühlen? Teilt eure Gedanken und Erfahrungen in den Kommentaren

 

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